Was keine Handtasche mit sinkender Produktivität zu tun hat

Impediment Management in AktionMein Team lag in den letzten Zügen – das Sprintende war nur noch wenige Stunden entfernt, die letzte User Story noch nicht vom Product Owner abgenommen. Konzentrierte Stille im Teamraum mischte sich mit wachsender Anspannung. Während der internen Abnahme kam er dann, der Fehler in letzter Minute. Entwicklerin Natalie und unser Product Owner saßen vor dem PC und hatten den Testfall entdeckt, der den Prozess zum Abbruch bringt. Das Review Meeting mit eingeladenen Kunden und Anwendern in nur 3 Stunden brachte besorgte Gesichter. Wir wollen ihn schaffen, diesen Sprint!

Natalie war innerlich zerrißen. Bei der Fahrradtour vor einer Woche war eine Flasche Rotwein über die Handtasche einer Freundin gelaufen. Und diese Freundin hatte nun morgen Geburtstag. Eigentlich müsste Natalie jetzt in die Stadt und der Freundin die Longchamp-Tasche besorgen, um das wieder gutzumachen. Und eigentlich müsste sie auch an der Story weitermachen, um das Team jetzt nicht hängen zu lassen.

Unser Product Owner stellte schelmisch grinsend fest:

„Das ist doch ein Impediment, oder?“

Mit dem geliehenen Audi meines Product Owners und einem befreundeten Coach auf dem Beifahrersitz fuhren wir in die Innenstadt – zwei ScrumMaster gehen eine Handtasche besorgen – absurd?! Ist das noch die Rolle des ScrumMasters? Oder das Gegenteil davon? Eine Karrikatur der Produktivitätssteigerung? Geht das nicht zu weit? Der ScrumMaster als Kerl für alles?

Während ich darüber laut nachdachte, stellte mein Beifahrer die entscheidende Frage: „Macht es Dir Spaß?“ Ich lachte: „Total!“

Wir ScrumMaster sind für die Produktivitätssteigerung von Teams verantwortlich. Die Frage die ich mir stellte, gehört zu den klassischen Fragen dieser Rolle:

„Was kann ich jetzt gerade und langfristig tun, um mein Team optimal zu unterstützen?“

Manchmal ist es die Suche der richtiImpediment gelöstgen Ansprechpartner, das Herausheben der agilen Perspektive oder die Moderation von Teamworkshops.

Manchmal sind es schwerfällige Prozesse in der Organisation, gegenläufige Interessen verschiedener Gruppen oder mangelnde Kommunikation.

Und manchmal ist es der Einkauf einer Handtasche.

Das Team hat den Sprint übrigens erfolgreich abgeschlossen.

Kontiniuerliche Wertschöpfung

Ein Grundgedanke in agilen Prozessen wie Scrum ist es, in Intervallen potentiell auslieferbare Produkt- oder Projektstände zu erzeugen. Jetzt kann man sich fragen, warum dies ein Vorteil zu anderen Produktionsphilosophien ist?

An jedem Intervallende habe ich die Möglichkeit, mein Produkt meinem Kunden oder Anwender zur Verfügung zu stellen. Damit ist die Zeitspanne, bis ich mit neuen Funktionen am Markt oder beim Kunden bin sehr kurz. Diese Taktung können oft nur wenige Mitbewerber erreichen. Sobald die Anwendung so ausgeliefert ein Mindestmaß an Nutzwert für die Zielgruppe darstellt, kann abgerechnet oder anderweitig monetarisiert werden.

Was bei Großprojekten oft Monate und Jahre dauert, beginnt hier von Anfang an. Darüber hinaus habe ich frühes Feedback meiner Anwender, welches maßgeblich in meine Produktgestaltung einfließen kann und so eine gute langfristig erfolgreiche Positionierung am Markt sichern kann.

Spinnt man den Gedanken der häufigen Auslierferung weiter, kommt man schnell zu der Erkenntnis, dass solche Lieferintervalle bestimmte technische Voraussetzungen haben: Kontinuierliche Integration, automatische Tests und schnell durchführbare Deploymentprozesse. Hat man diesen Reifegrad erreicht, entsteht quasi mit jedem Feature, dass ein Team in einer Iteration abschließt, Wertschöpfung für das Unternehmen. Welche Projekte können das schon behaupten?

In der Realität ist dies für viele Unternehmen ein Weg, der Mut, Ausdauer und Kraft kostet. Und vielleicht liegt gerade hier das Potential, sich vom Mitbewerber abzuheben oder auch als interner Dienstleister überzeugen zu können. Noch sind es wenige Firmen, die so weit gegangen sind und ich bin mir sicher: es werden jedes Jahr mehr werden.